KREUZTAL Bürgerbus-Fahrer erzählten aus 20 Jahren bewegenden Ehrenamts auf den Straßen am Fuße des Kindelsbergs. Manche Fahrgäste entfliehen im Büschen ihrer Einsamkeit, andere feiern dort in fröhlicher Runde ihren 80. Geburtstag.
Sie übernehmen ein verantwortungsvolles Ehrenamt, das vielen Mitbürgern einen verlässlichen Service und ein bedeutsames Plus an Mobilität, das ihnen selbst aber auch Freude und Zufriedenheit beschert: Rund 25 Männer und Frauen nehmen – abwechselnd natürlich – zurzeit regelmäßig am Lenkrad des Kreuztaler Bürgerbusses Platz und steuern mit dem Achtsitzer wochentags – Littfeld ausgenommen – die Kreuztaler Ortsteile sowie natürlich die Stadtmitte an. Anfang März vor 20 Jahren wurde der Linienbetrieb aufgenommen; seither haben mehrere Fahrer-„ Generationen“ insgesamt rund 200 000 Kilometer unter die Räder genommen – der vierte Kleinbus wurde vor zwei Jahren in Betrieb genommen.
In geselliger Runde plauderten einige der ehrenamtlichen Chauffeure des Vereins Bürgerbus Kreuztal nun über nette Begegnungen unterwegs und erzählten auch berührende sowie witzige Anekdoten, die nicht nur unterhaltsam sind: Sie verdeutlichen auch immer wieder die gesellschaftliche und soziale Bedeutung, die der damals kreisweit erste Bürgerbus bis heute innehat. Ziemlich am Anfang der Vereinshistorie, so erinnerte sich der „Spiritus rector“ und bis heute Vorsitzende Achim Walder, hatte einer der Fahrer einmal den Fahrplan, auf den sich die Kundinnen und Kunden ja verlassen, ins Wanken gebracht: An diesem Morgen habe es geschneit, und der Fahrzeuglenker war in Fellinghausen – offensichtlich während einer Leerfahrt – im Schnee steckengeblieben.
Er schloss den Achtsitzer ab und begab sich auf den Weg in die warmen und schneefreien vier Wände. Als Gefährt und Fahrer einige Zeit später vermisst wurden, tat er kund: Der Wagen müsse abgeschleppt werden. Es zeigte sich indes: Einmal zurückgesetzt, konnte die Fahrt wieder aufgenommen werden. Ein anderer Fahrer habe ebenfalls vorzeitig sein Zuhause angesteuert und sich wieder ins Bett gelegt: Also er dort telefonisch wieder aufgeschreckt wurde, ließ er unumwunden den Grund für den vorzeitigen Feierabend wissen: Er habe nur zwei Fahrgäste gehabt. Walder: „Auch hier mussten wir deutlich machen und ins Bewusstsein rufen, dass wir zwar ehrenamtlich arbeiten, aber einen Linienverkehr anbieten!“ Während der ersten fünf Monate stiegen 500 Gäste ein und aus. Heute sind es zwischen 800 und 1000 pro Monat.
Ein Stammgast ist in die Vereinsannalen eingegangen: Alma Oberländer war am 2. März 1998 die erste Passagierin. Inmitten eines Schneetreibens wartete sie in unkernhees geduldig auf das Büschen. Als „Geschenk“ zu ihrem 87. Geburtstag wurde in der ersten Betriebswoche die Haltestelle „Syberg“ nachgerüstet. Und noch einmal sorgte die Seniorin für Schlagzeilen: Im Alter von 90 Jahren wurde sie als 20 000. Fahrgast mit einem Strauß Blumen und einem Präsent begrüßt. Ihr Kommentar hat sich in das kollektive Fahrergedächtnis eingebrannt: „Hädde ech datt jewosst, wör ech net bedjefahrn!“ In Osthelden sei einmal eine Frau mit Behinderung ausgestiegen, der Fahrer setzte die Tour Richtung Stadtmitte via Oberhees fort, berichtete er. Unterwegs fiel ihm, im Dunkeln, eine „zickzackfahrende“ Radlerin auf, die sich mit wehendem Mantel abstrampelte. In Kreuztal klopfte sie an die Scheibe und es zeigte sich: Es war die Ostheldenerin. Sie hatte ihre Handtasche im Bus liegen lassen, in der sich wichtige Utensilien wie Geldbeutel und Medikamente befanden. Das Rad habe sie sich flugs von Nachbarn geliehen. Der Fahrer pfiff dieses eine Mal auf das exakte Einhalten des Fahrplans und kutschierte Kundin samt Mountainbike bis vor die Haustür. Zahlreich sind die Stammgäste, die sich auf einem der Sitzplätze niederlassen – und dies auch schon mal wörtlich verstehen: Ein regelmäßiger Passagier machte einmal spontan einen Rückzieher. „Da sitzt jemand auf meinem Platz“, hatte die Nordsiegerländerin beim Einsteigen angemerkt und beim sofortigen Wiederaussteigen hinzugefügt: „Dann fahr ich erst morgen.“ Für eine betagte Stammkundin hielt der Bürgerbus einmal, es war kurz vor Weihnachten und sie war zu diesem Zeitpunkt der einzige Fahrgast – exakt vor ihrer Haustür. „Itz schdonn se mo ob“, lautete ihre „Sejerlänner“ Aufforderung an den Fahrer, der gehorchte und sodann innigst gedrückt wurde: „Diese Dankbarkeit der Bürgerinnen und Bürger ist unser Lohn“, betonte 2. Vorsitzender und Fahrer Wolfgang Kirsch im SZ-Gespräch. Der Bürgerbus ist ein wichtiges Gesprächsforum von sozialer und gesellschaftlicher Relevanz, zeigt die Erfahrung der Fahrer. Manchmal sei auch der Weg das Ziel. Eine Dame habe gleich mehrere Tickets gezogen und erläutert: Sie wolle nirgendwo aussteigen. Sie müsse einfach mal unter „Lü“. Ein Damen-Quartett löste eines Tages Vierer-Tickets, also gewissermaßen eine Stadtrundfahrt: Unterwegs dann knallten die Sektkorken, wurden Kaffee und Frikadellchen ausgepackt – wurde fröhlich rund zweieinhalb Stunden lang ein 80. Geburtstag gefeiert.
Immer wieder erleben es die Fahrer, dass selbst Kreuztaler Urgesteine während der „großen Stadtrundfahrt“ Straßen und Ecken erstmals in ihrem Leben entdecken. Chauffeur und Gast lernen sich während der Touren kennen, man hält ein Schwätzchen, erkundigt sich nach dem Wohlergehen – da gerät auch heute noch durchaus in Vergessenheit, dass der Bürgerbus einen klaren Zeitplan einhalten muss. Und so meinte es ein Ferndorfer Stammpassagier jüngst ernst, als er Fahrer Erhard Klappert in Höhe des Irlenhofs aufforderte, der „Jong“ solle mal anhalten: Er wolle schnell zehn Eier kaufen. Das gab der Fahrplan leider nicht her.
Wo Extra-Service leistbar ist, wird er aber angeboten. So wurde z. B. schon mehr als eine Palette Stiefmütterchen donnerstags ohne deren Eigentümerin durchs halbe Stadtgebiet kutschiert: Eine Stammkundin hatte sie auf dem Wochenmarkt erworben und zeitig im Bus deponiert, bevor sie weitere Besorgungen erledigte und eine Tour später erst selbst wieder Richtung heimatlicher Scholle kutschiert wurde. Zwiebeln und Duffeln kullern donnerstags nicht selten durch den Gang. Das häufigste „Trinkgeld“ für die Chauffeure: Äpfel und Bananen.
Sie haben Freude an ihrem Ehrenamt und wollen der Gesellschaft etwas von dem zurück geben, was ihnen selbst während ihres bisherigen Lebens an Gutem widerfahren ist, betonten viele der Fahrer – auch wenn einige von ihnen gewissermaßen in ihr Glück „geschubst“ wurden, denn: Immer wieder werde er von Ehefrauen angesprochen, erzählte Achim Walder lachend. Der Tenor: Der Mann sei jetzt Rentner, habe Zeit…. – „Papa ante portas“, sozusagen. Nicht nur Erhard Klappert aus Littfeld fand auf diese Weise zu einem ihn nun erfüllenden Hobby.
Bericht von Anja Bieler-Barth, Siegener Zeitung 5-1-2018